Einem geschenkten Gaul schaut man ins Maul.

In meiner Familie kursiert eine Anekdote (eine von vielen, die Ehgartners sind bekannt für das Hervorholen peinlicher Episoden bei Familientreffen): Einmal habe ich einem Schulkollegen die Frage gestellt, wann er denn eigentlich Geburtstag hätte. Die Frage hab ich aber nur gestellt, um auf seine Gegenfrage nach meinem Geburtstag sagen zu können: „Ich hab heute!“.

Ja, ich habe meine Geburtstage geliebt und ich tu es noch heute. Apropos „heute“: Ich hab heute Geburtstag! (Meine Überleitungen werden durchaus galanter, muss ich sagen). Was das jährliche Jubiläum meiner Geburt mit Büchern zu tun hat, kann ich euch sagen: Ich bekam vor allem in meiner Kindheit viele, sehr viele Buchgeschenke. Und Bücher, die man geschenkt bekommt, haben eines gemeinsam, ungeachtet der schenkenden Person und der Verwandschafts- oder Freundschaftsbeziehung zum Geburtstagskind: Sie werden nämlich meistens von der schenkenden Person ausgesucht und oft hätte man dieses Buch vielleicht gar nicht selbst gekauft.

Mit Kinderbüchern ist es aus Marketingsicht wie mit Katzenfutter: Man bewegt nicht die Konsumenten selbst zum Kauf, sondern die Eltern, Herrchen und Frauchen. Die Bücher meiner früheren Kindheit wurden also meistens von meiner Mutter ausgewählt und gekauft, bis ich später selbst entweder mein Taschengeld in Buchhandlungen umsetzte, meine Bücher in der Schulbibliothek aussuchte oder mit meiner Oma kurz vor Weihnachten den DONAULAND-Katalog studierte. Ich zähle die Bücher, die mir meine Mutter stapelweise ins kiefernholzlastige 90er-Kinderzimmer brachte, aber nicht wirklich zu den klassischen Buchgeschenken, da ich aus heutiger Sicht sagen muss, dass ich sie mir selbst auch ausgesucht hätte bzw. mein Buchgeschmack natürlich von ihrer Selektion stark geprägt wurde. Ich spreche hier von den Büchern, die man am Geburtstag auspackt und erst mal mit fragendem Blick umdreht und beäugt.

Es gab so einige Buchgeschenke meiner Kindheit, die erst mal im Regal verschwanden. Einem geschenkten Gaul schaut man halt doch ins Maul und wenn die Zähne darin für einen irgendwie schief aussehen, dann steht er eben mal für eine Weile im Stall. Irgendwann dann, meistens nachts im Anflug einer Oh-mein-Gott-ich-hab-nix-mehr-zu-lesen-Krise, nahm ich das zuerst so kritisch betrachtete Buch doch in die Hand und begann, mich damit zu beschäftigen. Nicht selten geschah es dann, dass mich die Geschichte fesselte und ich mich fragte, ob ich das Buch wohl jemals in die Hände bekommen hätte, wenn es kein Geschenk gewesen wäre – da mich Cover, Autoren und Inhaltsangaben offenbar nicht angesprochen hätten. Die folgenden Buchtipps sind also die Ergebnisse des Zufalls, des Geschmacks meiner Verwandten und Freunde und meiner Panik davor, nachts nicht mehr zum Lesen zu haben:

205„Alle meine Monster“: Diese Reihe von Thomas Brezina (seine Bücher mochte meine Mutter nicht so, daher war er nicht wirklich in meiner kleinen Bibliothek vertreten) kam mir unter die Finger, als meine Tante mir zum Geburtstag zwei Bücher daraus schenkte. Die Geschichte ist aber wirklich eine ungewöhnliche, die mit Penny und der Knickerbocker-Bande nix zu tun hat: Ein kleiner Junge entdeckt die Bewohner einer verlassenen Geisterbahn, die tatsächlich echte Monster sind. Arbeitslose nämlich, durchaus logisch. Weil es Leute gibt, die ihnen auf den Fersen sind, will er die Geisterbahn kaufen. Und wie kommt man als Schulkind mit so ungewöhnlichen Freunden zu Geld? Richtig, man vermietet seine Monster. An Menschen, die eben Monster brauchen, so einfach ist das.

Robinson1991„Robinson, Mittwoch und Julchen“: Was fängt man als 8-Jährige mit einem Buch an, das sich auf ein Standardwerk der Literatur bezieht, welches man nicht gelesen hat? Der fast 12-jährige Jo klaut in einem kleinen Geschäft das Buch „Robinson Crusoe“ und verbringt fortan jeden Tag auf einer kleinen Insel im See, die er mit dem Gummiboot erreicht. Hier erdenkt er sich seine eigene Robinson-Story und lebt ganz in einer Fantasie, in der er hilflos auf einer Insel gestrandet ist. Das Cover dieses Buchs ist braun. Braun. Kein Kind der Welt kauft sich ein Buch in dieser Nichtfarbe. Deshalb bekam ich es auch geschenkt. Und was soll ich sagen … Jos Fantasiewelt hat mich bereits nach wenigen Seiten so gepackt, dass ich mangels einer Insel jeden Tag in einer großen Schachtel im Lager meines Vaters hockte, mit einer Taschenlampe, etwas Proviant, einer kleinen Box voll Muscheln und 50-Schilling-Silbermünzen aus meinem Schmuckkästchen (das sollte meinen gefundenen Schatz darstellen), las und auf Freitag wartete.

Johanna-Spyri-Heidi-Doppelband-Karo-Buch„Heidis Lehr- und Wanderjahre“ und „Heidi kann brauchen, was es gelernt hat“: Die Originalromane zur Zeichentrickserie wurden von Johanna Spyri geschrieben und ich bekam von einem Schulkollegen einen unglaublich kitschig aussehenden Doppelband, bei dem mich schon alleine der Titel des zweiten Teils abschreckte. Was sollte das „es“ denn hier? Eines Nachts war es dann soweit und Stunden später konnte ich noch immer nicht aufhören und es vor allem kaum glauben, dass mich diese Geschichte so einnahm. Ich kannte die Handlung aus der japanischen Zeichentrickserie, eigentlich hatte ich kein besonderes Interesse an einem 8-jährigen Mädchen, das auf der Alm lebt, an seinem (ach da ist das „es“!) grummeligen alten Großvater und der kränkelnd-gebrechlichen Klara. Aber das Geschichtenerzählen, das hatte die gute Johanna Spyri offenbar drauf. So ist es kein Wunder, dass die Geschichte des patscherten Mädchens um die Welt gegangen ist und in fernen Ländern eine Rezeption als Kulturgut erfährt, wie man sie sich hierzulande gar nicht vorstellen kann.

52008„Vater und Sohn“: Als Kind hab ich sehr gerne Micky-Maus-Hefte und lustige Taschenbücher gelesen. Aber mit diesem seltsamen Buch mit Bildergeschichten in der Hand wusste ich nichts anzufangen. Ein bis zwei Seiten lange Geschichten, die mit Comics nichts zu tun hatten, ohne Sprache auskamen und in Schwarz-Weiß gehalten waren? Als Leseratte konnte ich nicht verstehen, wie ein Buch, das Geschichten erzählt, praktisch frei von Text sein konnte. Jahre, nachdem ich es geschenkt bekommen hatte, wurde ich eines Besseren belehrt und das Buch mit den unglaublich geistreichen und lustigen Geschichten wurde eines meiner Lieblinge. Nochmals Jahre später erfuhr ich erst, was für eine Rezeption die Comics von e. o. plauen (die eigentlich „pantomime strips“ sind) haben, was der Zeichner für eine Geschichte hat und wie alt sie schon sind. Ungeachtet dessen sagen die liebevollen Geschichten so viel über Väter, Kinder und die Gesellschaft aus, dass man wohl nie zu alt sein kann, sie zu „lesen“.

Juliane Ehgartner

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